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Im Gespräch mit ... Joachim Hellriegel

München, August 2015. Was ist eine barrierefreie Website? Wer sollte seinen Internet-Auftritt barrierefrei gestalten? Und was hat Barrierefreiheit mit einer Stradivari-Geige zu tun? Antworten von einem bayerischen Barrierefrei-Macher.

Website der Bayerischen Staatsregierung. Im Vordergrund ein Gebärdensprachdolmetscher.
Welche Aufgaben hat die Bayerische Staatskanzlei? Auf www.bayern.de werden Informationen wie diese auch in Gebärdensprache und Leichter Sprache angeboten.

Über Joachim Hellriegel

 

Porträtfoto: Joachim Hellriegel.

Joachim Hellriegel beschäftigt sich seit 1990 mit dem Internet. Ab 2007 baute er als IT-Projektmanager in der Münchner Stiftung Pfennigparade ein Fachzentrum für barrierefreie Internetlösungen auf.

Meine Meinung

„Barrierefreiheit ist für mich ein zutiefst vernünftiges Design-Prinzip. Jeder, der ein Produkt oder eine Anwendung entwickelt, sollte sich Gedanken machen, wie das Produkt benutzbar ist. Wer dies nicht tut, schließt unter Umständen ganze Gruppen von Anwendern, schließt Menschen aus. Barrierefreiheit ist also auch ein soziales Prinzip.“

Barrierefreiheit muss man nicht sehen, sondern erleben.


Herr Hellriegel, woran sieht man, dass eine Website barrierefrei ist?

Joachim Hellriegel: Man sieht das gar nicht. Man sieht ja auch der Tür im rollstuhlgerechten Haus nicht an, dass ihre Maße der DIN entsprechen. Aber der Mensch im Rollstuhl merkt, dass er bequem durch die Tür fahren kann. Genauso erleben Menschen mit Behinderung, dass eine Website barrierefrei gestaltet wurde: Sie finden sich in der Struktur gut zurecht, die Navigation ist übersichtlich und sie erreichen alle Inhalte.

Sind barrierefreie Websites nur praktisch – oder können sie auch gut aussehen und Spaß machen?

Sie haben bei der Gestaltung alle Möglichkeiten außer: quietschbunt, unübersichtlich und grell blinkend. Im Ernst: Im barrierefreien Web-Design ist heute fast alles machbar; selbstverständlich können barrierefreie Seiten anregend und informativ sein UND fantastisch aussehen.

Was sind die wichtigsten Regeln, wenn ich z. B. für mein Café, meinen Web-Shop oder unseren Verein einen barrierefreien Auftritt plane?

Es sind im Grunde nur vier Richtlinien zu beachten: Alle Elemente des Web-Auftritts müssen 1. wahrnehmbar, 2. verständlich, 3. bedienbar und 4. robust sein.

Für diese Richtlinien gibt es klare Detailanforderungen; lassen Sie mich das an einigen Beispielen erläutern: Der Benutzer muss die Schriftgröße verändern können; für Farbkontraste gelten strenge Regeln. Alle Elemente der Navigation, Links und Schaltflächen müssen – im Hypertext, den der Nutzer gewöhnlich nicht sieht – gekennzeichnet sein, sonst kann die Vorlese-Software für blinde Menschen sie nicht erfassen.

Außerdem müssen die Inhalte in der gewünschten, sinnvollen Reihenfolge angeordnet sein, das ist wichtig für Vorlese-Software und für die Navigation per Tastatur. Wichtig ist auch, fremdsprachige Ausdrücke zu markieren – sonst spricht die Computerstimme sie deutsch aus. Ja, die gängigen Screen-Reader beherrschen auch die gängigen Sprachen.

Jedes Bild muss durch einen Alternativ-Text für blinde und sehbehinderte Menschen ergänzt werden. Er liefert keine detaillierte Bildbeschreibung, sondern die Kernaussage des Fotos.

Blinde Menschen wie auch Menschen mit eingeschränkter Feinmotorik oder Spastiken können nicht mit der Maus navigieren. Die Website muss also auch komplett über die Pfeiltasten und den Tabulator bedienbar sein.

Die Website sollte auf allen Endgeräten und unabhängig vom Browser laufen, also auf dem PC, dem Notebook, einem Tablet-Computer und dem Smartphone. Wer ein Übriges tun will, bietet für gehörlose Menschen die wesentlichen Informationen auch in Gebärdensprache an, für Menschen mit kognitiven Einschränkungen in Leichter Sprache.

Man sieht nicht, dass eine Website barrierefrei gestaltet ist. Man sieht ja auch der Tür im rollstuhlgerechten Haus nicht an, dass ihre Maße der DIN entsprechen.

Barrierefreiheit ist also nicht nur eine Aufgabe für den Programmierer?

Nein, Barrierefreiheit steht und fällt mit dem Wissen und Können des Redakteurs. Das beste Programm nützt nichts, wenn die Inhalte nicht angemessen aufbereitet sind. Das ist dann, wie wenn ein Fahranfänger in einen Sportwagen steigt.

Die Redakteurin oder der Redakteur der Seite muss Texte in gutem, verständlichem Deutsch schreiben, die Inhalte sinnvoll und übersichtlich gliedern und eben auch auf Details wie die Alternativ-Texte für Bilder achten. Alle Redaktionssysteme bieten heute Barrierefreiheit an. Wenn man sich an einige Grundregeln hält, erreicht man schon ein gutes Maß.

Das beste barrierefreie Programm nützt nichts, wenn die Inhalte nicht stimmen. Das ist dann, wie wenn ein Fahranfänger in einen Sportwagen steigt.

Wie viele Websites in Deutschland erreichen dieses gute Maß?

Noch zu wenige, aber der Anteil steigt. Ich denke, bei Behörden ist schon ein guter Stand erreicht und auch bei etlichen großen Unternehmen. Viele andere müssen noch nachziehen. Es gibt auch Portale bekannter Internetanbieter, die einfach gruselig sind. Alles quillt über, es gibt keine Struktur, die Besucher sind einem überwältigenden Bombardement ausgesetzt.

Diese Firmen sollten bedenken, dass Barrierefreiheit sehr vielen Menschen nützt: Mitgliedern, Gästen, Kunden, auch den eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – und möglichen Bewerbern. Wer auf seiner Website etwas verkaufen möchte, sollte an den immer größeren Anteil älterer Menschen denken. Sie profitieren sehr von der einfachen Bedienbarkeit barrierefreier Websites. Wenn sie das gleiche Produkt auf einem klar strukturierten und ansprechenden Web-Shop kaufen können: Was denken Sie, für welchen Web-Shop sie sich entscheiden?

Was fasziniert Sie am Thema Barrierefreiheit?

Als ich 2007 zur Pfennigparade kam, war das Thema Barrierefreiheit vielleicht in ein oder zwei Köpfen präsent. Ich habe eine Arbeitsgruppe aufgebaut und wir haben uns eingearbeitet. Nach drei Monaten war uns klar: Barrierefreiheit ist DAS Thema der Web-Zukunft. Ich hatte das Gefühl: Ich kann etwas Grundlegendes mitgestalten und etwas Sinnvolles tun.

Sehen Sie einen Unterschied zwischen der barrierefreien Gestaltung von Websites und, sagen wir, Gebäuden?

Nein. Man sollte sich überall Gedanken machen, wie etwas benutzbar ist. Das Gegenteil von Barrierefreiheit ist: Menschen auszuschließen. Barrierefreiheit ist also auch ein gesellschaftliches Prinzip!

Wissenswertes zu barrierefreier Web-Gestaltung

Infos auf der Website der Aktion Mensch

Auf der Website der Aktion Mensch e. V. finden Sie Links zu Initiativen für ein barrierefreies Internet und zu Websites rund um Grundlagen, Richtlinien (WAI, WCAG 2.0), Bewertung und Testwerkzeuge. Viele Websites, die sich mit diesem Thema befassen, sind auf Englisch verfasst. Die Aktion Mensch bietet zahlreiche wichtige Inhalte in deutscher Übersetzung an.

„Eine Website barrierefrei machen“: das Info-Angebot der Aktion Mensch

Themen-Überblick

Einführung und Links

Dokumente in deutscher Übersetzung

Besser mitplanen als nachbessern!

Barrierefreiheit können Sie am einfachsten und besten umsetzen, wenn Sie eine neue Website planen oder eine vorhandene komplett überholen. In bestehenden Auftritten nachzubessern ist schwierig, aufwendig und entsprechend teurer.

Wenn Sie eine Neuauflage („Relaunch“) Ihrer Website vorhaben, verweisen Sie am besten unter dem Stichwort „barrierefrei“ in Ihrem aktuellen Auftritt auf den geplanten Veröffentlichungstermin. Bieten Sie Interessierten an, sie per E-Mail zu informieren, wenn Ihre neue, barrierefreie Website online geht.