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Barrierefrei studieren

München, Januar 2017. Auf rund 50 Gebäude an mehreren Standorten verteilt sich Deutschlands zweitgrößte Uni, die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München. Mehr als 50.000 Studierende lernen, forschen und arbeiten hier. 3.500 von ihnen haben eine Beeinträchtigung, die sich spürbar auf ihren Studienalltag auswirkt. Damit sie ihre Ziele erreichen – den Hörsaal genauso wie die Cafeteria, den reibungslosen Austausch mit den Lehrenden genauso wie ihren Abschluss –, wird in den alten Gebäuden aufwendig nachgerüstet, planiert, verkabelt und an Stellschrauben gedreht. In den Neubauten ist Barrierefreiheit dagegen von Anfang an Teil des Konzepts – und Zeichen einer neuen Qualität für alle Menschen. Wir haben uns für Sie umgesehen!

Großer Hörsaal; im Vordergrund Ablage mit Audio-Empfangsgeräten.

Über die LMU München

Hauptgebäude der LMU München.

Die Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) reicht zurück ins Jahr 1472. Gegründet wurde sie in Ingolstadt; nach einer kurzen Zwischenstation in Landshut zog sie 1826 nach München um. Friedrich von Gärtner entwarf das 1840 eröffnete Hauptgebäude am heutigen Geschwister-Scholl-Platz. Längst hat die Universität mehrere Standorte – rund ums Hauptgebäude in der Maxvorstadt, im Klinikviertel am Sendlinger Tor, am Stadtrand in Großhadern und außerhalb Münchens, in Garching, Weihenstephan und Martinsried.

Zweitgrößte Uni in Deutschland

An der LMU wird in allen Wissensgebieten gearbeitet: in den Geistes- und Kulturwissenschaften, den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, der Medizin und den Naturwissenschaften. An den 18 Fakultäten der LMU forschen und lehren 750 Professorinnen und Professoren sowie knapp 4.000 wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und mehr als 50.000 Studierende lernen und arbeiten unter den vielen Dächern von Deutschlands zweitgrößter Uni.

Umfrage: Behinderung verlängert das Studium

Rund sieben Prozent der Studierenden in Deutschland haben eine Behinderung oder eine chronische Erkrankung. Das ergab die 20. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks im Jahr 2012. Die Umfrage belegt, dass Studierende, die im Studium stark beeinträchtigt sind, deutlich länger für ihren Abschluss brauchen. Die Datenerhebung „beeinträchtigt studieren“ (best1) von 2011 zeigt: Rund ein Drittel der Befragten waren gegenüber ihrer ursprünglichen Planung bereits zwei oder mehr Semester in Verzug. U. a. wünschten sich die Befragten flexiblere Studienformen, bessere Unterstützungsangebote und mehr soziale Kontakte.

Aha!

2011 führte das Deutsche Studentenwerk erstmals die Datenerhebung „beeinträchtigt studieren“ durch (best1). Ende 2016 startete die zweite Erhebung, best2. Hier finden Sie Infos: zur Umfrage best2.

An der LMU München studieren mehr als 50.000 Frauen und Männer, jüngere und ältere Semester, Menschen aus mehr als 125 Ländern, mit und ohne Behinderung. Die große Vielfalt will die LMU nicht auf ein Durchschnittsmaß stutzen, das sich gut ins Vorhandene einfügt, sondern, im Gegenteil, unterstützen.

2011 hat die Universität die Charta der Vielfalt unterzeichnet. Damit bekennt sie sich zu einem Arbeitsumfeld, das frei von Diskriminierung und Vorurteilen ist. „Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen Wertschätzung erfahren“, heißt es in dem Dokument, „unabhängig von Geschlecht, Nationalität, ethnischer Herkunft oder Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexueller Orientierung und Identität.“

Es geht darum, eine Universität vom Ausmaß einer Kleinstadt und mit Gebäuden aus der Pferdekutschenzeit umzurüsten.

Es geht nicht um Dutzende Räume, sondern um Hunderte, vielleicht Tausende. Um ungezählte Wege, Zigzehntausende Schwellen und Stufen, schmale Türstöcke hier, schwere Torflügel da. Um Websites und Broschüren, Vorlesungsskripte und Infoflyer. Um Stühle, Tische, Tafeln, um Beleuchtung und Akustik, gepflasterte Zufahrten und hundert Jahre alte Sanitärräume. Es geht darum, eine Universität vom Ausmaß einer Kleinstadt und mit Gebäuden aus der Pferdekutschenzeit so umzurüsten, dass künftig alle Menschen gleichberechtigt und selbstbestimmt teilhaben, studieren und arbeiten können. Eine Sisyphusarbeit, die den Akteuren fast genauso viel Kraft abverlangt wie den Betroffenen, die sich heute noch mit vielen Barrieren arrangieren müssen.

Doch die Universität verzeichnet schon viele Erfolge. Etliche Hürden sind genommen, etliche Barrieren abgebaut, viele weitere barrierefreie Angebote in Planung. Für ihr Engagement hat Bayerns Sozialstaatssekretär Johannes Hintersberger der Universität im November 2016 das Signet „Bayern barrierefrei“ verliehen. „Wir haben in Hinblick auf die Barrierefreiheit an unserer Universität in den vergangenen Jahren viel vorangebracht“, sagte LMU-Präsident Bernd Huber anlässlich der Verleihung. „Diese Auszeichnung ist eine große Motivation, den Abbau von Barrieren konsequent weiter zu betreiben.“

Wegweiser, Beratungsstelle, Hightech und Ruheraum

17 Seiten lang ist der Wegweiser „Barrierefrei durch die Universität München“. Er nimmt sich ein Gebäude nach dem anderen vor, listet die jeweiligen Einrichtungen auf, informiert über barrierefreie Zugänge, die Standorte der behindertengerechten Toiletten und die Routen zu Hörsälen, die nur über die Kombination mehrerer Lifte zu erreichen sind.

Allgemeine Infos, maßgeschneiderte Tipps und praktische Unterstützung bietet die Beratungsstelle für Studierende mit Behinderung und chronischer Erkrankung. Das Team bearbeitet jedes Jahr 1.000 bis 1.500 Anträge auf Nachteilsausgleich. Studienmaterialien bereiten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter barrierefrei auf – also so, dass Sprachausgabeprogramme für blinde und sehbehinderte Menschen sie erfassen und vorlesen können. Außerdem verleiht die Beratungsstelle technische Hilfsmittel, vom Laptop mit Blinden- und Sehbehindertensoftware über mobile Funkhöranlagen bis zum fahrbaren Patientenlifter.

Rund 20 große Hörsäle der LMU sind inzwischen mit Systemen für Studierende mit Hörgerät oder Cochlea-Implantat ausgestattet. Die Infrarot-Stereotechnik sendet vom Mikrofon an Empfangsgeräte, verbessert die Klangqualität und blendet Nebengeräusche aus. Die Empfangsgeräte können die Studierenden bei der Beratungsstelle ausleihen. In mehreren Hörsälen gibt es fest installierte induktive Höranlagen; hier wird die Sprache direkt vom Mikrofon aufs Hörgerät übertragen. Für kleine Runden und Einzelgespräche verleiht die Beratungsstelle eine mobile Induktionsschleife. Ein Computerarbeitsplatz für blinde und sehbehinderte Menschen ist u. a. mit Braille-Zeile und Braille-Drucker, Großscanner und Sprachausgabe ausgestattet. Hier können Studierende mit Sehschädigung online recherchieren oder ihre Hausarbeiten schreiben. Mit dem eigenen Notebook hat man inzwischen in den meisten Gebäuden WLAN-Zugang zum Uninetzwerk. So können Studierende z. B. Schrift- oder Gebärdensprachdolmetschende online zuschalten. Ein Ruhe- und Serviceraum bietet einen geschützten Rückzugsort. Er ist u. a. mit einem Kühlschrank für Medikamente, Schließfächern für Hilfsmittel und einer Ruheliege ausgestattet.

Das Ziel: eine neue Qualität für alle Menschen

Derzeit entwickelt die Universität ein Planungskonzept für ihr Hauptgebäude, ein rund 175 Jahre altes Baudenkmal. Professor Ulrich Heimlich, Beauftragter für Studierende mit Behinderung und chronischer Erkrankung an der LMU, bezieht Studierende mit Behinderung in diesen Prozess ein, nimmt sie mit zu Audits und Ortsterminen – z. B., wenn in einem alten Physik-Hörsaal eine App für Menschen mit Hörbehinderung getestet wird. An der Seite einer Studentin im Elektrorollstuhl hat er die Wege im Hauptgebäude ganz neu erfahren. Er hat die vielen Schwellen wahrgenommen, die langen (Um-)Wege von einem Aufzug zum nächsten ermessen, selbst die Frustration über die verlorene Zeit empfunden.

In den Neubauten können Menschen mit Behinderung schon Seite an Seite mit allen anderen Studierenden arbeiten.

Allmählich bekomme man eine Vorstellung davon, was – technisch und finanziell – nötig sei, um den Bedürfnissen aller Menschen an der LMU gerecht zu werden, schildert Ulrich Heimlich. Das Ziel: eine neue Qualität, von der alle Menschen profitierten, mehr Offenheit, mehr Raum zur Begegnung – und eine neue Ästhetik. In Neubauten werde diese Qualität längst verwirklicht. Ein Paradebeispiel: der Campus Martinsried, ein Forschungs- und Lehrstandort der LMU vor den Toren Münchens, gleich hinter dem riesigen Klinikum Großhadern. „Wer hier über den Campus läuft, fühlt sich willkommen geheißen. In den Neubauten sind die Anforderungen an die Barrierefreiheit wunderbar umgesetzt; hier können Menschen mit Behinderung Seite an Seite mit allen anderen Studierenden arbeiten.“

Bildergalerie: barrierefrei studieren im BMC

Großer Campus-Wegweiser vor einem modernen Gebäude.

Ein weitläufiges Gelände mit flachen Institutsgebäuden, ringsherum Ackerland und Wald: Der Campus Martinsried gilt als eine der weltweit ersten Adressen für Biowissenschaften. 2015 wurde das Biomedizinische Centrum (BMC) eingeweiht. Hier arbeiten rund 60 Forscherteams verschiedener Fächer an Grundlagenfragen und angewandten Themen; bis zu 2.000 Studierende werden am BMC ausgebildet. Wie alle Neubauten der LMU ist das BMC barrierefrei nach den DIN-Vorschriften für öffentlich zugängliche Gebäude.

Modernes Foyer mit taktilem Leitsystem.

Blinde oder sehbehinderte Menschen, die einen Langstock nutzen, erwartet an den Eingängen zum BMC ein taktiles Leitsystem. Die Rillen, die in die Bodenplatten gefräst sind, markieren die Hauptrouten durchs Foyer.

Bedientasten in einem Aufzug.

Barrierefreien Zugang genießen auch Menschen mit Gehbehinderung: Alle Übergänge sind schwellenlos, alle Stockwerke mit Aufzügen erschlossen. Für blinde Menschen sind die Bedientasten im Aufzug mit tastbaren Braille-Zeichen beschriftet.

Treppengeländer mit taktiler Markierung.

Metallplättchen mit Punktschrift (Brailleschrift) und Reliefschrift an den Treppengeländern zeigen das jeweilige Stockwerk an.

Wegweiser in einem Gebäude mit Schwarzschrift und Punktschrift.

Auch Wegweiser bieten Infos in Schwarzschrift und Punktschrift. „Schwarzschrift“ nennt man übrigens jede nicht tastbare Schrift, egal in welcher Farbe sie gesetzt ist.

Schild mit Infos für Hörsystemträger.

Auch auf Menschen mit Hörschädigung ist das BMC eingestellt. Dieses Schild weist darauf hin, dass ein Raum mit einer induktiven Höranlage ausgestattet ist. Sie besteht aus einem Mikrofon, einem Verstärker und einer Induktionsschleife. Der Vorteil: Umgebungs- und Echogeräusche werden ausgeblendet, Töne kommen in klarer Qualität beim Empfänger an.

Großer Hörsaal; auf einem Tisch liegen Kopfhörer.

Im größten Hörsaal des BMC (und der gesamten LMU) mit 950 Plätzen finden Vorlesungen, Tagungen und Großveranstaltungen statt. Ganz oben, direkt an den Zugängen, sind Plätze für Menschen mit Rollstuhl eingerichtet. Rollstuhlplätze in der ersten Reihe sind über einen Lift zu erreichen. Für Menschen mit Hörbehinderung liegen Kopfhörer und Empfangsgeräte bereit (unten im Bild).

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Linktipps

Allgemeine Infos, maßgeschneiderte Tipps und praktische Unterstützung bietet die Beratungsstelle für Studierende mit Behinderung und chronischer Erkrankung der LMU München.
Zur Beratungsstelle an der LMU München

Hier stellt sich die Kontakt- und Informationsstelle (KIS) für Studierende mit Behinderung und chronischer Erkrankung an der Universität Würzburg mit ihren vielen nützlichen Angeboten vor.
Zur Kontakt- und Informationsstelle an der Uni Würzburg

Wer eine Behinderung hat und studiert oder ein Studium plant, findet beim Deutschen Studentenwerk viele grundlegende Infos.
Zum Deutschen Studentenwerk

Über barrierefreies Bauen an Hochschulen informiert das Bayerische Wissenschaftsministerium auf der Website „Studieren in Bayern“. U. a. werden hier auch beispielhafte Projekte der TH Deggendorf und der HAW Landshut vorgestellt.
Zur Website „Studieren in Bayern“

Auch die Universität Würzburg wurde bereits mit dem Signet „Bayern barrierefrei“ ausgezeichnet. Hier erfahren Sie mehr:
Barrierefreiheit an der Uni Würzburg